Österreichische Zeitgeschichte als Figurentheater. Nikolaus Habjan und Simon Meusburger arbeiten ein dunkles Kapitel österreichischer Geschichte auf.
Friedrich Zawrel (1929-2015) wächst in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in Wien unter schwierigsten Umständen auf. Der Vater ist Alkoholiker, die Mutter kann die Familie, die bald als nicht mehr förderungswürdig eingestuft wurde, unmöglich alleine ernähren.
„Wenn ich heute Bilder aus der dritten Welt seh, dann erinnert mich vieles an meine ersten Kinderjahre in Kaisermühlen. Wennst 10 Groschen ghabt hast, da warst ein Kaiser. Wann mei Mutter an Schilling ghabt hat, da ham sich sieben Leut’ satt essen kenna.“ , erinnert sich Friedrich Zawrel. Nach der Delogierung der Familie kommt Friedrich Zawrel zum ersten Mal in ein Heim. Nach mehreren Fluchten von seiner Pflegefamilie landet er schließlich 1943 in der Krankenanstalt Am Spiegelgrund, der zweitgrößten „Kinderfachabteilung“ des Deutschen Reiches, in der kranke, behinderte und vermeintlich erblich belastete Kinder und Jugendliche behandelt wurden und rund 800 Euthanasiemorde an Kindern stattgefunden haben. Friedrich Zawrel wird als „erbbiologisch und sozial minderwertig“ eingestuft und von Ärzt*innen und Pfleger*innen gefoltert und gequält, darunter auch Heinrich Gross, der ihn mit zahlreichen „medizinischen“ Versuchen foltert. Friedrich Zawrel kann mithilfe einer Krankenschwester aus der Anstalt fliehen.
Viele Jahre später will es das Schicksal, dass sich der Folterer und sein Opfer noch einmal begegnen. Friedrich Zawrel, dem von der Republik Österreich eine Ausbildung verwehrt wird, hat sich als Kleinkrimineller über Wasser gehalten. Dr. Heinrich Gross ist inzwischen eine anerkannte Persönlichkeit in Österreich. Seine medizinischen Forschungen an den Kindergehirnen der ermordeten Kinder aus der ehemaligen Nazieinrichtung haben ihm zahlreiche Auszeichnungen eingebracht. Mittlerweile ist er Parteimitglied der SPÖ und erhält das Bundesverdienstkreuz für Wissenschaft und Kunst. Außerdem ist er der einflussreichste Gerichtsgutachter der Republik. In dieser Funktion sitzt er nun seinem ehemaligen Opfer Friedrich Zawrel gegenüber.
„Für einen Akademiker ham Sie aber ein schlechtes Gedächtnis“, antwortet Zawrel, als Gross ihn nicht erkennt.
Als er für Zawrel dann das Gerichtsgutachten wegen eines Überfalls schreiben soll, zitiert er die Worte aus dem Gutachten von 1944 „erbbiologisch und sozial minderwertig“ und sorgt damit dafür, dass Zawrel für viele Jahre in die Justizanstalt Stein gesperrt wird.
Erst im Jahre 2000 kommt es nach vielen Bemühungen Zawrels zu einem Gerichtsverfahren gegen den Naziverbrecher, das aber wegen einer angeblichen Demenz von Gross eingestellt wird. Er kann sich an nichts mehr erinnern.
Zawrel hingegen verarbeitet seine Erlebnisse. Seine Erinnerungen und Erzählungen sind ein Zeitdokument von unschätzbarem Wert. Seine Vorträge in Schulen im ganzen Land haben tausende Schüler schockiert und gerührt. Und sie waren und sind Grundlage für zahlreiche Publikationen, Dokumentationen und Filme.
Das Figurentheaterstück „F.Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig“ entstand in enger Zusammenarbeit mit Zawrel selbst. Seine sehr persönlichen Gespräche, die er mit Puppenspieler Nikolaus Habjan und Regisseur Simon Meusburger geführt hat, dienten als Grundlage für dieses Projekt. Habjan schlüpft in dieser neuen Produktion nicht nur in die Rolle von Zawrel, sondern auch in die des Arztes Gross und durchlebt in einzelnen Stationen diese außergewöhnliche Geschichte. Ein Stück erlebbare Zeitgeschichte, die bis in die Gegenwart reicht.
Trotz der schweren Lebensumstände hat Friedrich Zawrel nie Rache gesucht, sondern war immer auf der Suche nach Verständnis. Wenn er erneut Kontakt zu seinem Folterer Heinrich Gross gesucht hat, so nicht um ihm Vorwürfe zu machen, sondern um ihn zu fragen: Warum?
Unsere Produktion erhielt den Nestroypreis 2012 in der Kategorie Beste Off-Produktion und den Schweizer Kulturpreis „Grünschnabel“ 2014. Am 22. März 2022 feiern wir das 10-jährige Jubiläum.
DVD-Bestellung Begleiten Sie den Zeitzeugen selbst ins Akademietheater und erleben Sie die Vorstellung vom 11. November 2014, in der er – drei Monate vor seinem Tod – als Ehrengast anwesend war.
Für und mit dem Schubert Theater Wien, der Steirischen Gesellschaft für Kulturpolitik und dem Justizministerium wurde der preisgekrönte Theaterabend in eine filmische Form gebracht und eine DVD mit vielen Zusatzmaterialien entwickelt. Natürlich durften deutsche und englische Untertitel dabei nicht fehlen.
Buch: Nikolaus Habjan und Simon Meusburger Regie: Simon Meusburger Spiel: Nikolaus Habjan Puppenbau: Nikolaus Habjan Lichtdesign: Simon Meusburger Kostüm: Lisa Zingerle Photos: Barbara Pálffy, Sabine Hauswirth
Dauer: 120 Minuten ohne Pause
Uraufführung: 22. März 2012
Unterstützt durch die Stadt Wien und dem Bundesministerium.
Performance für Puppen und Schauspieler nach dem gleichnamigen Film von Tod Browning, Premiere am 29. September 2011 im Schubert Theater Wien
Basierend auf dem gleichnamigen Film von Tod Browning aus dem Jahr 1932 erzählen zwei PuppenspielerInnen und 2 SchauspielerInnen unter der Regie von Simon Meusburger (Puppendesign: Nikolaus Habjan) die Geschichte jener Akteure, die die „Sideshow“ zur großen Zirkusshow gestalten; Dabei montiert das Autoren-Duo (Meusburger & Habjan) die realen Lebensbiografien der DarstellerInnen der Hollywood-Vorlage in die Handlung eben dieser.
Buchadaption: Nikolaus Habjan /Simon Meusburger nach einem Film von Tod Browning Puppendesign und -bau: Nikolaus Habjan Regie: Simon Meusburger Mit Vivien Löscher, Christoph Hackenberg, Manuela Linshalm, Nikolaus Habjan
Der kleine „Freak“ und das große Biest Etwa jene des kleinwüchsigen Hans und sein blindes Liebeswerben um die betörende wie hinterlistige Seiltänzerin Cleopatra (biestig: Vivien Löschner), die ihren „Darling“ zwar erhört, in ihm jedoch nichts weiter sieht als eine gut betuchte Witzfigur. Habgier, Eitelkeit und verletzter Stolz gipfeln in einem finalen Vergeltungsschlag, der das Monströse der Schönen ans Licht bringt – und den „Pfau der Lüfte“ hart am Boden aufschlagen lässt. Intensität gewinnt das Stück durch den interaktiven Einsatz von Puppen und Schauspielern – eine Melange, in der die Grenze zwischen lebender und künstlicher Materie ebenso verwischt wie jene zwischen Moral und Unmoral.
Fazit: außergewöhnlich, kurzweilig, sensibel und dramatisch – mit einem überragenden Nikolaus Habjan als Puppenspieler und Pfeifkünstler. Unbedingt anschauen!
(https://www.noen.at/gmuend/blick-aufs-abnorme-4244442, 21. November 2012)
Unterstützt durch die Stadt Wien und dem Bundesministerium.
Michael Jackson ist tot! Der King of Pop lebt! „Becoming Peter Pan – An Epilogue to Michael Jackson“ erzählt die fiktive Geschichte eines Menschen, der einmal der größte Entertainer aller Zeiten war. Das Schubert Theater Wien präsentiert ein faszinierendes Panoptikum aus realer Biografie und Phantasie über den Künstler und den Menschen hinter der Kunstfigur „Michael Jackson“, der wie kaum ein anderer Künstler unserer Zeit immer noch Reflektionsfläche für Millionen ist. Ein Drama inspiriert vom “King of Pop”, der sein Leben zur größten Show des Universums machte während er immer mehr zu seinem Alter Ego „Peter Pan“ geworden ist und dabei gleichermaßen verstört und fasziniert hat.
Puppenspiel und Puppenbau: Nikolaus Habjan
Buch und Regie: Simon Meusburger
Visualisierungen: Johannes Hucek
Regieassistenz und Inspizienz: Helene Ewert
Kostüme: Modeschule
Graz Lichtdesign: Simon Meusburger
Photos: Sabine Hauswirth
Zwei Schattenmänner: Christoph Hackenberg, Benedikt Grawe
Drei Schattenkinder: Franziska Singer, Matteo Ortner, Lucca Nocchieri
Additional Music: Otto M. Zykan
Übersetzung: Jasmin Sarah Zamani
Dauer: 80 Minuten
Premiere: 16. Dezember 2010
Unterstützt durch die Stadt Wien und dem Bundesministerium.
In Wien begegnet man dem „Herrn Karl“ in vielen Personen, an unzähligen Orten. Helmut Qualtingers zum Klassiker avancierter Charakter ist allgegenwärtig. Das Schubert Theater Wien zeigt Qualtingers Text als Puppentheater: Nikolaus Habjan schlüpft darin, mithilfe seiner Puppen in die verschiedensten Rollen, die alle zusammen „Der Herr Karl“ sind.
„Man wird über den Herrn Karl lachen und weinen, man wird ihn verdammen und bemitleiden, man wird ihn zitieren, man wird ihm – als höchste Bestätigung seiner Gültigkeit – auf Schritt und Tritt begegnen. Sein scheinbar zufälliges Gerede enthält in konzentrierter Form die Substanz eines Zeitromans oder eines Zeitstücks, ist zugleich Zeugnis einer Epoche, Enthüllung einer Haltung und Ergebnis souveräner literarischer Gestaltung, mit einem Wort: ein Stück Welt.“ (Hans Weigel)
Premiere: 26. Februar 2010
Puppenbau und -spiel: Nikolaus Habjan
Regie: Simon Meusburger
Photos: Barbara Pálffy
Dauer: 90 Minuten
Die Produktion des Schubert Theaters „Der Herr Karl“ (Helmut Qualtinger/Carl Merz), adaptiert als Puppentheaterstück, hat bei dem Theaterfestival „bestOFFstyria 2.10″ 2010 den Publikumspreis mit folgender Begründung der internationalen Jury gewonnen (bestOFFjury 2010):
„Nikolaus Habjan gibt den Kellnerlehrling in einem Volkstheaterstück. Sein „Herr Karl“ säuft, raucht und raunzt sich durch die österreichische Geschichte. Eine Beiselmilieustudie im 20erJahre Look, mit Mikroport-Update, rotem Samt, Kellnerfliegen und Grammophon. Souverän beschwört der Puppenspieler Habjan die guten alten Zeiten, dabei erinnern die Puppen schon mal an Otto Dix. Der Text wird als 50er-Jahre-Stück gespielt und verliert dabei die Brisanz gegen die politische Rechte von heute. Formell und inhaltlich bleibt die Inszenierung auf der nostalgischen Wohlfühlebene, obwohl das Talent des Puppenspielers eindeutig ist!“
Ein bitterböses Puppentheater für Erwachsene
„Willkommen in unserem wunderschönen Altersheim Immergrün!“ – „Ich hasse grün!“
Man hört eine Uhr ticken.
Ab und zu summt eine Fliege.
Die Tapete ist hässlich.
In der Ecke steht ein altes Sofa.
Das ist das Altersheim Immergrün!
Und Herr Berni hasst es.
Denn seit kurzer Zeit ist er Bewohner des Heims. Und Herr Berni hasst es.
Außer ihm wohnen dort Hermann Dilette, der liebenswürdige Eisverkäufer im Ruhestand, Frau Gisela Hering, einst gefeierte Operndiva spezialisiert aufs Wagnerfach, und Bettina Bunzl, Pflegefall und Buttercremetorten-Abhängige. Und Herr Berni hasst sie.
Betreut werden die Bewohner von der koketten Schwester Sylvie und dem cholerischen Heimleiter Dr. Gerd Oberwetz-Schnittke aus Detmold. Und Herr Berni hasst sie.
Premiere 22.10.2008
Mit: Nikolaus Habjan und Manuela Linshalm
Regie: Simon Meusburger
Puppenbau: Nikolaus Habjan
Photos: Barbara Pálffy
Dauer: 130 Minuten mit Pause
Unterstützt durch die Stadt Wien und dem Bundesministerium.