Für die Erweiterung der virtuellen Galerie VDonaukanal – das Projekt und die App nennt sich ab 2025 K1 ARt – erarbeiteten wir eine virtuelle UR-VENUS aus dem Projekt von theater margret. Inspiriert von den unterschiedlichen, zeitgeschichtlichen Meinungsprojektionen auf die kleine Statuette Venus von Willendorf, pointiert zusammengetragen von Almut Schäfer-Kubelka, wurde die von Odile Pothier gebaute Puppe 3D-gescannt und von Dagmar Schürrer in ein Augmented-Reality-Kunstwerk weiterentwickelt.
Eine Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Die Venus von Willendorf ist mehr als nur eines der bedeutendsten Artefakte aus der Altsteinzeit – sie ist eine Verbindung, ein Brückenschlag zwischen den Menschen von vor 30.000 Jahren und uns heute. Doch trotz ihrer archäologischen und kulturellen Bedeutung ist sie auch ein Objekt, das durch die Jahrhunderte von unterschiedlichsten Sinndeutungen geprägt wurde. Das AR-Erlebnis macht die wechselnden Interpretationen der “Venus” greifbar und regt zugleich die Zuschauer:innen dazu an, über die kulturellen Prägungen und Vorurteile nachzudenken, die unsere Wahrnehmung beeinflussen.
Damit entfaltet sich eine kritische Topografie digitaler Feminität, verankert in der ikonischen Figur. Die „Venus“ dient als Projektionsfläche für patriarchale Prägungen, feministische Deutungen und moderne Körperdiskurse. Das AR-Artefakt befindet sich in stetigem Wandel, während es unaufhaltsam durch die Geschichte und in die Zukunft eilt.
Die Venus als „Porno der Steinzeit“: Frühzeitige patriarchale Deutungen
Kurz nach ihrer Entdeckung 1908 wurde die Figur von den damaligen Archäologen und Wissenschaftlern schnell als „Venus“ betitelt – eine bewusste Anlehnung an die Göttin der Liebe und Schönheit aus der römischen Mythologie. Diese Benennung war kein neutraler Akt, sondern spiegelte die patriarchalen Vorstellungen jener Zeit wider. Der Fokus lag dabei auf den übertriebenen anatomischen Merkmalen der Figur – Brust, Hüften und Bauch –, die als Indiz für sexuelle und reproduktive Funktionen gelesen wurden. Manche Forscher gingen so weit, die Venus als eine Art prähistorisches „Sexsymbol“ oder gar als „Pornografie der Steinzeit“ zu deuten. Die Annahme, dass prähistorische Menschen sich vor allem von sexuellen Trieben leiten ließen, war stark durch die viktorianischen Moralvorstellungen und eine Projektion moderner Wünsche und Fantasien geprägt. Die Venus als Symbol der Ur-Mutter und Fruchtbarkeit In den 1960er und 1970er Jahren änderte sich die Sichtweise auf die Venus von Willendorf. In einer Zeit, die von der zweiten Welle des Feminismus geprägt war, wurde die Statuette zunehmend als Symbol der Ur-Mutter und Fruchtbarkeit interpretiert. Archäolog:innen und Anthropolog:innen begannen, sie nicht mehr durch die Linse patriarchaler Stereotype zu sehen, sondern als Ausdruck der Verehrung weiblicher Macht und schöpferischer Fähigkeiten. Die überzeichneten Körperformen wurden als Beweis für ihre Funktion als Fruchtbarkeitssymbol gelesen – möglicherweise ein Talisman für eine erfolgreiche Schwangerschaft oder ein Ritualobjekt, das das Überleben einer Gemeinschaft sichern sollte. Diese Sichtweise brachte eine stärkere Wertschätzung für prähistorische Frauen und deren Rolle in der Menschheitsgeschichte mit sich, blieb aber nicht ohne Kritik: Viele argumentierten, dass auch diese Interpretation eine Projektion moderner Werte und Ideologien sei.
Die Venus im Licht der Body-Positivity und Diversität
In der heutigen Zeit, geprägt von Diskursen über Inklusion, Body-Positivity und Diversität, hat die Venus von Willendorf erneut an Symbolkraft gewonnen. Sie wird nun häufig als Gegenentwurf zu unrealistischen Schönheitsidealen betrachtet und als Idol der Vielfalt weiblicher Körperlichkeit gefeiert. In sozialen Medien und Kunstprojekten wird sie als Ikone für Selbstliebe und Akzeptanz inszeniert. Manche sehen in ihr eine Rebellion gegen die von den Medien propagierten schlanken Schönheitsnormen, andere eine Erinnerung daran, dass Schönheit und Wert nicht von einem einzigen Ideal abhängen.

Zwischen Mysterium und Projektion: Was sagt die Venus über uns aus?
Trotz all dieser Interpretationen bleibt eines unbestreitbar: Die wahre Bedeutung der Venus von Willendorf ist ein Rätsel. Wir wissen nichts über die Intentionen der Menschen, die sie vor 30.000 Jahren schufen. War sie eine Fruchtbarkeitsgöttin? Ein Symbol für weibliche Macht? Oder einfach nur ein Kunstwerk ohne größere Bedeutung? Jede Interpretation – ob patriarchal, feministisch oder postmodern – ist letztlich ein Spiegel ihrer jeweiligen Zeit und Weltanschauung. Die Venus ist weniger ein Fenster in die Steinzeit als eine Leinwand, auf die wir unsere eigenen Vorstellungen und Fragen projizieren. Vielleicht liegt ihre größte Bedeutung darin, uns daran zu erinnern, dass Vergangenheit und Gegenwart untrennbar miteinander verknüpft sind – und dass jede Deutung letztlich mehr über uns als über sie aussagt.
Steinzeit trifft Smartphone: Warum die Venus in AR rockt
Ein AR-Erlebnis mit der Ur-Venus bietet einen einzigartigen Zugang zu diesem prähistorischen Artefakt, indem es Geschichte, Kunst und Technologie nahtlos verbindet. Anders als eine bloße Betrachtung im Museum ermöglicht AR, die Figur in ihrer räumlichen Dimension zu erleben und die verschiedenen Deutungsebenen immersiv zu erleben. Gleichzeitig regt AR dazu an, eigene Perspektiven einzubringen und die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart aktiv mitzugestalten.
Team:
Idee: Almut Schäfer-Kubelka & Lisa Zingerle
Konzept & Text: Lisa Zingerle
Regie & Text: Almut Schäfer-Kubelka
Puppenbau: Odile Pothier
digital artist: Dagmar Schürrer
Eine Zusammenarbeit von Theater margret und Schubert Theater Wien mit der Alsergrunder Kulturkommission für VDonaukanal.

Mit VDonaukanal startete 2024 ein neues Projekt mit der Mission, den Wiener Donaukanal mit virtuellen Realitäten zu einer open air Kunstplattform zu erweitern, die das Zusammenspiel von digitalem und analogem Leben fördert. Unter der Projektinitiierung von kultureins und Stephan Rabl hat der digital-künstlerische Leiter Markus Wintersberger Künstler*innen mit analogen Partner*innen aus den umliegenden Wiener Bezirken zusammengebracht, um die Geschichten des Donaukanals auf neue Weise erlebbar zu machen. 2025 verabschiedete sich Stephan Rabl von dem Projekt, es gab eine Umgestaltung in „K1-ARt“ und eine weitere Edition, „Bridges„, wurde über die Stadtgrenzen Wiens hinaus mit der Partnerstadt Sarajevo erfolgreich umgesetzt, wofür das Schubert Theater gemeinsam mit Dagmar Schürrer die virtuelle „Ur-Venus“ erarbeitete.
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