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Wie geht’s? Nicht so gut? Sie sind nicht allein.

Wir müssen reden.
Wie geht’s? Nicht so gut? Sie sind nicht allein.

Die Ausgangsbeschränkungen: Ein notwendiges Opfer für einen höheren Zweck. “Stay the fuck home” heißt es. Und unterschwellig “Shut the fuck up”. Denn: Kritik wird als Egoismus und mangelnde Solidarität gedeutet.

Doch die Solidarität, die beschworen wird, ist einseitig. Wir müssen dringend darüber reden, was der Ausnahmezustand mit der Psyche macht. Wie wir die Isolation ertragen, was die Nebenwirkungen sind und was helfen kann.

Kommentar von Jana Schulz

“Die meisten kommen mit den Einschränkungen sehr gut zurecht” titelt der Standard*.  Familien gehe es sogar besonders blendend. Ein Zusammenhang zwischen Unzufriedenheit und FPÖ-Sympathien wird hergestellt. Und eine besonders zynische Bildunterschrift findet sich unter dem Stockfoto: “Wer es sich leisten kann, kann sogar Gourmet-Service in Anspruch nehmen”. Eine interessante Studie. Wie viele prekär arbeitende und lebende Menschen hier wohl gefragt wurden?

Die Auswirkungen des Lockdowns sind individuell sehr unterschiedlich. Wer zu den Privilegierten zählt, hat es leichter. Mit finanzieller Sicherheit, Auto, Garten oder genügend Wohnraum lassen sich schlimme Lagerkoller leichter vermeiden. Man darf sich dennoch nicht täuschen lassen: Auch die Besserverdienenden gehen gerade am Zahnfleisch, etwa, wenn sie arbeitende Jungeltern sind und parallel Kinder 24/7 zu versorgen haben – eine extreme Überforderung. Die Notbetrieb-Kinderbetreuung in Zeiten der Pandemie zu nutzen, ist stigmatisiert.

Das Virus lässt nicht nur versteckte Probleme deutlich zu Tage treten, es lässt auch Probleme entstehen, wo es vorher keine gab. Denn auch wenn es vielen Menschen gut, manchen auch besser als im Normalzustand geht: Bei einem Teil steht das Leben Kopf seit Mitte März, und einige leiden enorm darunter. Sie sind die andere Risikogruppe. Sie sind unter- oder überfordert, zermürbt, aggressiv oder ängstlich.

Zu wenig wird darüber in der Öffentlichkeit gesprochen. Es ist ein neuartiger sozialer Druck entstanden: Der Druck, mit den sozialen Einschränkungen gut zurechtzukommen. Eine Schwierigkeit liegt auch darin, dass man von diesen Problemen nur sprechen kann, indem man sehr privat wird. Dabei ist das Private seit jeher politisch.

So bleiben auch Künstler*innen in öffentlichen Statements auffallend positiv. Klar, wer in der Extremsituation mäkelt, läuft Gefahr, als unsolidarisch dazustehen, als labil oder als Verschwörungstheoretiker*in. Stattdessen wird die eigene Produktivität und Kreativität auch in der Krise betont.

Bevor also ein neues Tabu entsteht, lassen wir einige Künstler*innen des Schubert Theaters anonym zur Sprache kommen.

Wie geht es den Theaterleuten?

“Energie- und Gemütszustände sind größeren Schwankungen ausgesetzt als sonst. Plötzlich seines beruflichen Alltags und gewohnter Lebensumstände beraubt zu sein, reißt ein ziemlich großes Loch in den Alltag.”

“Meine Stimmung schwankt täglich und zwischendurch spür ich mich nicht mehr.”

“Danke, gut.”

“Die Decke fällt mir auf den Kopf, ich werde immer grantiger und habe plötzlich mit Aggressionen zu kämpfen – es ist, als würde ich mich jeden Tag ein wenig mehr in einen Psycho verwandeln.”

“Die Stimmung schwankt. Heute ist ein relativ neutraler Tag, ich bin weder gut noch schlecht gelaunt.”

“Der Geist ist etwas getrübt, der Körper nervös.”

Wer sonst viel Lebenskraft aus seinem künstlerischen Beruf, engem Teamwork mit Gleichgesinnten, den Live-Erlebnissen und dem Kontakt zum Publikum zieht, ist vor die Herausforderung gestellt, sich seinen “Alltagssinn” neu zu erfinden. Was sind da die Durchhaltestrategien?

“Fatalismus. Lächeln und durch! Und: Nachdem ich die ersten zwei Tage praktisch durchgehend am Nachrichtenticker verbracht habe, bin ich inzwischen auch zu einer gewissen „Info-Quarantäne“ übergegangen: Morgens die Zeitung und am Abend die ZIB müssen reichen.”

“Eine Zitrone auspressen und trinken. Sehr viel Rad fahren. Um etwas ausgeglichener zu sein, ersetze ich gerade Kultur durch Sport – obwohl ich Sport verabscheue.”

“Im Moment bin ich noch weit entfernt von Strategien, sondern versuche jeden Tag so zu nehmen, wie er eben ist.”

“Was sehr schwer ist, ist abzuschalten. Gedanken sind allgegenwärtig, und der gesteuerte und geschürte Dauerstress und die globale Angst ist sehr schwächend – darum viel ganzheitliches Yoga – das hilft mir persönlich sehr, wieder aufzuladen.”

“Viel virtuelle Kommunikation mit Freunden, Familie und Kollegen. Erstmals konsumiere ich Netflix und habe Eskapismus nun doch zur Bewältigungsstrategie erhoben, Spaziergänge in der Natur halten mich ebenso aufrecht.”

Sprechen wir es aus – was sind die schlimmsten Sorgen und Ängste?

“Arbeitslosigkeit, Bedeutungslosigkeit, Verstaatlichung, staatliche Kontrolle, Polizeistaat, leere Versprechungen, Menschen, die ihre vermeintliche Macht missbrauchen. Angst, dass Freundes- und Familienkreis von Krankheit betroffen sind.”

“Sehr lange nicht arbeiten zu können.“

“Ich habe eine sehr große Angst vor Machtmissbrauch. Wie verantwortungsvoll geht die Politik mit den Eingriffen in unsere Grundrechte um? Wer hat die Definitionsmacht über den Notstand? Werden wir uns nach der Krise in einem Überwachungsstaat wiederfinden?”

“Gott sei Dank wenige. An erster Stelle hoffe ich natürlich, dass alle meine Lieben sicher sind. Beruflich ist Gott sei Dank alles im grünen Bereich, der finanzielle Schaden hält sich bei mir noch in Grenzen.”

“Welche demokratische Freiheiten wollen wir uns noch rauben lassen, im Gegenzug für vermeintliche Sicherheit und Unsterblichkeit? Ich habe die Angst, dass der Preis sehr hoch sein wird für die angebliche Gesundheit für alle. Selbst wenn diese Maßnahmen die einzige Möglichkeit im Umgang mit dieser Erkrankung sind, muss es möglich sein, zu hinterfragen, ob es das wert ist. Ich habe Angst, dass es nicht mehr erlaubt sein wird, diese und ähnliche Fragen zu stellen.”

Und doch gibt es Grund zur Hoffnung. Welche Chancen birgt die Krise?

“Der Hippie in mir hofft, dass wir als Gesellschaft nach der Krise etwas gelernt haben werden. Dass wir auf unseren täglichen Wegen vielleicht ein Spürchen mehr nach links und rechts schauen werden, aufmerksamer sein werden, emphatischer, „gesellschafts-dienlicher“. Und, ganz eigennützig: Ich hoffe, dass die Isolation viele Menschen daran erinnert hat, wie schön es für uns alle ist, gemeinsam Kultur zu erleben.”

 ”Ich hoffe, dass die Menschen im Ausnahmezustand ihr normales Leben reflektieren- und Lust bekommen auf “Degrowth”, den Ausstieg aus dem Hamsterrad, Zeitwohlstand. Dass wir die Klimakrise ernst nehmen und unseren Lebensstil ändern. Dass die systemrelevanten Berufe langfristig hoch geschätzt und gut bezahlt werden. Wenn eine Chance zu Transformationen besteht, dann jetzt. Es stehen schon ein paar Türchen zu Utopien offen.”

“Der Zusammenhalt und die Bereitschaft zu gegenseitiger Unterstützung ist – zumindest in meinem persönlichen Umfeld – spürbar. Ich hoffe, dass sich das auch gesamtgesellschaftlich zeigen wird. Und ich hoffe, dass wir alle, die wir im künstlerischen Bereich arbeiten, diese Zeit existenziell überstehen.”

“Solidarität der Menschen und der Regierungen, Eingeständnis von Fehlern und das gemeinsame Lösen (Corona, Umwelt, “think global – act local”), Vertrauen in Wissenschaft.”

“Es macht mir Hoffnung, wenn die Konservativsten der Konservativen wie der Papst über ein Grundeinkommen sprechen. Oder unsere Rechts-Mitte-Regierung über die Globalisierung nachdenken möchte. Der Planet atmet nun kurz auf. Ich hoffe, das wird gesehen und die Experten, die schon seit Jahrzehnten vor einem Klimakollaps warnen, werden ebenso gehört werden, wie die auserwählten Experten der aktuellen Viruskrise. Wir sollten in der Zeit der Isolation nicht vergessen, dass wir nicht allein sind. Dass wir alle füreinander verantwortlich sind, sollte auch ohne eine undefinierte Krankheit gelten.”

Was können wir also tun? Wach bleiben. Kritisch bleiben. Nachfragen und einander unterstützen. Und ja, auch darüber reden, was unsere Lebenssituation ist und wie es uns geht, denn diese “Befindlichkeiten” sind politisch. Sie müssen Eingang finden in die Diskussionen, wie wir den Ausstieg aus dem Lockdown gestalten – und wie wir überhaupt als Gesellschaft leben wollen.

Wir haben Einfluss darauf, welche Transformationen die Krise bringt. Dazu müssen wir aber in guter Verfassung sein und in stabilen sozialen Gefügen. Uns vor Tabus und zu viel Konsens hüten. Und vielleicht mehr dazu stehen: “Es geht mir beschissen. Ohne Theater und Menschen sterbe ich ab.” Oder auch: “Es geht mir bestens, weil ich endlich aus dem Alltagswahnsinn aussteigen konnte. Vielleicht sollten wir etwas am Normalzustand ändern”.

 

*  https://www.derstandard.at/story/2000116944826/die-meisten-kommen-mit-den-einschraenkungen-sehr-gutzurecht

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