2023 ist das 10. Todesjahr von Aaron Swartz, einem der größten Visionäre des Internets, politischen Aktivisten, Hacktivisten, Reddit-Co-Founder und Verfechter der Open Access-Bewegung. Als Hommage hat Renate Kreil von ACOnet | net:art coordination center Künstler*innen unterschiedlichster Sparten dazu aufgerufen, sich in der Projektserie „aaron’s law“ aus verschiedenen Perspektiven mit seinem Leben und Werk auseinanderzusetzen. Hier stellen wir die daraus resultierenden Projekte und Kooperationen des Schubert Theaters vor.
Links:
The internet’s own boy – The Story of Aaron Swartz (Dokumentation von Brian Knappenberger, 2014)
aaron’s law – künstlerisch-technische Projektreihe, initiiert von der Koordinierungsstelle net:art
INSIGHT:Aaron – Mozilla Hubs Raum im Virtuellen Puppenmuseum (Desktop und VR)
MEET:Aaron – Spaziergang für die Figur (Outdoor-Stationentheater im Sommer 2023 mit bespielten AR-Station)
LISTEN TO:Aaron – AR Installation mit einem KI-animierten Video und einer KI-generierten Stimme von Aaron (Ars Electronica und dauerhaft rund ums Schubert Theater zu erleben)
Aaron Swartz im Schubert Theater Wien
Neue Technologien und digitale Kunst hatten in unserem Figurentheater schon immer einen Platz, sei es bei der technischen Ausrüstung, für Bühnen- und Puppengestaltung oder direkt in der künstlerischen Umsetzung mit einer KI als Autorenschaft oder Projekten für den digitalen Raum. Insofern ist es für uns sehr natürlich, sich auch inhaltlich mit Personen, Arbeiten und Aktionen rund um diese Themen zu beschäftigen. Doch spätestens 2021 bei unserem digitalen Vorstoß der Puppen merkten wir, wie viele Barrieren es zwischen der jungen digitalen Theaterkunst und dem Publikum gibt. Sowohl Figurentheater für Erwachsene als auch digitales Theater sind mit Vorurteilen behaftet. Auf den ersten Blick wird Figurentheater als kindisch und unseriös abgestempelt, und digitales Theater als kompliziert und „Ersatzprogramm“ verdammt. Dabei wissen wir, dass die Welt und die Gesellschaft im ständigen Wandel sind, und im besten Fall der Wandel von Menschen, und nicht von Konzernen geleitet werden muss. Ein Zitat von Aaron Swartz traf einen Nerv bei uns, und machte uns neugierig:
“Growing up, I slowly had this process of realizing that all the things around me that people had told me were just the natural way things were, the way things always would be, they weren’t natural at all. They were things that could be changed, and they were things that, more importantly, were wrong and should change, and once I realized that, there was really no going back.” ― Aaron Swartz
Wer war Aaron Swartz?
Schon zu seinen Lebzeiten wurde Aaron Swartz als Genie bezeichnet. Ein Wunderkind, dessen Inputs die Ergebnisse unterschiedlicher Entwickler*innen-Teams mitgeprägt haben, die wir bis heute ganz selbstverständlich verwenden. Als Co-Founder der Social-News-Website Reddit setzte er sich u.a. für die gesellschaftspolitische Bedeutung des Netzes ein. Als technischer Entwickler des Creative-Commons-Teams arbeitete er an der Umsetzung von Gratislizenzen („some rights reserved“), die heute die Urheber*innen von mehr als 400 Millionen Werken nutzen. Aaron Swartz war die immense Bedeutung der Worte Open Access, Open Source und Netzneutralität für die kreative Entwicklung der Kunst als auch der Wissenschaft bewusst. Mit dem Einsatz jeder neuen technischen Errungenschaft sollten gleichzeitig die gesellschaftspolitischen Konsequenzen diskutiert werden. Für Aaron Swartz war das eine selbstverständliche Denkweise, die stark in seinem 2008 verfassten Guerilla Open Access Manifesto herauszulesen ist.
So aktiv und vernetzt er war, umso härter traf seine Follower sein Suizid 2013 mit gerade mal 26 Jahren: dem Diebstahl von 4,8 Millionen Wissenschaftsartikeln bezichtigt und mit einer Haftstrafe und einer Million Dollar Bußgeld bedroht sah der bereits physisch wie psychisch angeschlagene Aktivist keinen anderen Ausweg mehr. Das überaus harte Vorgehen der Staatsanwaltschaft, die mit dem Fall Hacktivismus endgültig kriminalisieren wollte, wurde von vielen als „Kampf Davids gegen Goliath“ empfunden und scharf verurteilt. Bis heute gibt es Zweifel, ob Swartz sich tatsächlich selbst umgebracht hat.
Es wird spekuliert, dass Swartz sich zur Zeit des Downloads mit institutioneller Korruption beschäftigte. Allerdings nicht am MIT, dessen Server er zum Download genutzt hatte, sondern am Center for Ethics der Harvard University, dessen damaliger Direktor der Verfassungsrechtler und guter Freund von Swartz Lawrence Lessig war. Er sagte in einem Interview 2017 über Aaron Swartz: „Er lehrte mich einige gute und einige schlechte Dinge. Er lehrte mich, ein Leben zu führen, das der Integrität verpflichtet ist. Er hatte eine kohärente Vorstellung davon, was seine Rolle und sein Ziel war. Aber die dramatischste Lektion, die er mir erteilte, war die bösartige Grausamkeit des Selbstmords.“
Durch die Verschmelzung von Figurentheater und digitaler Kunst sind Direktorin Lisa Zingerle und Initiatorin des Gedenkjahres für Aaron Swartz Renate Kreil von ACOnet | net:art coordination center überzeugt, nicht nur eine angemessene Hommage an ihn zu zeigen, sondern ganz im Sinne Aarons Menschen aus verschiedenen Welten zu vernetzten. So wurden Künstler*innen und Konzepte gesucht, die sich im 10. Todesjahr 2023 mit Person und Werk von Aaron Swartz beschäftigen. Alle Projekte als auch eine Literatursammlung können auf der Website netart.cc eingesehen werden. Schließlich fanden sich interessierte und engagierte Künstler*innen, die gemeinsam mit dem Schubert Theater im 10. Todesjahr einen digitalen Museumsraum (den man auch in VR erleben kann), eine Installation sowie eine AR-Installation für und über Aaron Swartz entwickeln.
METAMORPHOSEN
Die Transformation einer Puppe: Was mit einer Büste anfing, ein VR-Museumsraum und eine AR-Theaterstation wurde, und schließlich als AR-Artefakt in das Artificial Museum aufgenommen wurde.
Aaron Swartz X Schubert Theater Wien 1:
INSIGHT:AARON (Virtuelles Puppenmuseum, Februar 2023)
In einer Zusammenarbeit des Medienkünstlers Ilkhan Selcuk und der Puppenbildnerin Annemarie Arzberger unter der Leitung von Lisa Zingerle wurde ein Mozilla Hubs Raum kreiert, der die Person und das Werk von Aaron Swartz vorstellt.
Das Mozilla-Projekt entstand 1998 und sollte die kreative Stärke Tausender Programmierer im Internet entfesseln und zu einem noch nie dagewesenen Niveau im Browser-Markt führen. Das Mozilla-Team Mixed Reality startete 2018 das „Hubs“-Projekt als eine neue, experimentelle und offene Plattform für virtuelle Treffen.
Viele von Swartz’ Visionen für einen besseren Informationsaustausch über Grenzen und Klassen hinweg findet man in seinem bereits 2008 verfassten Guerilla Open Access Manifest, das in einem 3D-Modell seines Kopfes gehört und gelesen werden kann. Am digitalen Weg dorthin erfährt man untermalt mit Musik- und Videoausschnitten verschiedene Stationen aus Swartz jungen Leben als auch Meilensteine der Entwicklung des Internets. Man kann einen seiner Lieblingssongs anhören, Auszüge aus seinem persönlichen Blog lesen, oder über einen Berg seiner Lieblingsbücher klettern. Ebenso wird sein politischer Aktivismus vorgestellt, und Ausschnitte aus der Dokumentation „An Internet’s own boy“ gezeigt, in der auch sein Tod 2013 behandelt wird.
Der Museumsraum ist immer geöffnet und kann über das Virtuelle Puppenmuseum besucht werden. Raum: Insight:Aaron besichtigen
Museum: Virtuelles Puppentheatermuseum
Aaron Swartz X Schubert Theater Wien 2:
MEET:AARON (Spaziergang für die Figur – Der Zeit voraus, Sommer 2023)
Beim diesjährigen Outdoor-Stationentheater „Spaziergang für die Figur“ nehmen wir uns Visionär*innen, Pionier*innen und Träumer*innen an. Was wäre unsere Welt ohne dem ständigen menschlichen Drang nach Forschung, Fortschritt und Verbesserung? Dabei ist das eine oder andere Experiment fehlgeschlagen, so manche Firma Pleite gegangen oder die bloße Idee bereits belächelt, verspottet oder gar verklagt worden. Dabei waren sie nur der Zeit voraus…
Wir tauchen in fünf spannende Biografien des 19. und 20. Jahrhunderts ein, die unser Hier und Jetzt prägen: vom Traum einer elektrifizierten Stadt und dem Albtraum eines dystopischen Endes der Menschheit durch Klimakatastrophen, über ein Film-Produktionshaus für starke Frauencharaktere und die erste Frau Kommerzialrat Wiens bis zum Informationskrieg der Neuzeit über Internetbrowser und Whistleblower. Letztere Station ist dem Visionär Aaron Swartz gewidmet.
„Information is power“ leitet das vom Programmierer Aaron Swartz 2008 verfasste Guerilla Open Access Manifesto ein, indem sich der Hacktivist für den freien Zugang von Information aussprach. Vorgetragen wird das Manifest von den Darsteller*innen Markus-Peter Gössler, Soffi Povo und Angelo Konzett. Dabei bewegt sich das Publikum um eine digitale AR-Büste von Aaron Swartz, die von der bildenden Künstlerin Annemarie Arzberger analog gestaltet und von Medienkünstlerin Litto als Augmented Reality-Objekt transformiert wurde. Möglich ist das durch die erste Kooperation des Schubert Theaters mit dem Artificial Museum unter der Leitung von Litto und Jascha Ehrenreich.
Der Spaziergang für die Figur wurde an jedem Juni-Wochenende in Wien gezeigt und im August beim Hin&Weg-Theaterfestival in Litschau präsentiert.
Aaron Swartz X Schubert Theater Wien 3:
LISTEN TO:AARON (AR-Installation mit KI-Animation und KI-generierter TTS, September 2023)
The Artificial Museum sieht seine Aufgabe darin, „Kunst im öffentlichen Raum zu schaffen, zu beschaffen, zu erforschen, zu verbreiten und zu erhalten.“ Tatsächlich gibt es zu viele Kunstwerke, als dass man jedes immer ausstellen könnte, und neue Kunstformen wie digital arts haben einige Hürden in der gängigen Museumskultur zu überwinden. Außerdem hat auch das Museum, wie viele andere Kunst- und Kulturstätten, an Publikum eingebüßt. Genau diesen Umstand stellt das Artificial Museum in Frage: Als Herausforderung des Status Quo wollen sie zwischen den Welten agieren und ein neues Museumspublikum definieren. Dafür bringen sie drei wichtige Komponenten zusammen: „Wir sind zeitlos, haben unendlich viel Platz und sind immer für die Öffentlichkeit zugänglich.“ Und es wird ihnen recht gegeben: Über 200 Künstler*innen und Kooperationspartner*innen arbeiteten bereits für und mit ihnen.
Die Artefakte, wie die Kunstwerke des Artificial Museums genannt werden, sind in Augmented Reality (AR) zu bewundern, einer virtuellen Erweiterung der Realität um dreidimensionale und in Echtzeit-interaktive Elemente. Diese werden dem Publikum über AR-Apps angezeigt, und können mittels interner Kamera des Smartphones oder Tablets so dargestellt werden, als seien sie Teil der realen Welt die einem umgibt. Auf dem Bildschirm wird also sichtbar, mit was wir unsere Realität erweitern oder ausstatten wollen. Durch die Dreidimensionalität kann mit dem Objekt auch interagiert werden. Man kann um es herumgehen, durchgehen oder auch, und besonders schön, hineingehen. Die Welt wird zum AR-Abendteuer, in das man über die Website oder über QR-Code barrierefrei einsteigen kann. Wer nicht direkt vor Ort ist bekommt eine reduzierte Vorschauversion zu sehen.
In einer ersten Zusammenarbeit mit Litto, künstlerische Leitung des Museums, und Jascha Ehrenreich, Programmierer des Museums sowie Aaron Swartz-Enthusiast der ersten Stunde, wurde das Artefakt – die Aaron-Büste – nochmals 3D-gescannt und digital in den Innenhof des Schubert Theaters verortet. Simon Meusburger komponierte für den digitalen Auftritt eine Klanglandschaft mit Geräuschen von Buchseiten, die umgeblättert werden, sowie technischen Pieps- und Signaltönen.
In einer weiteren gemeinsamen Umsetzung mit Hidéo Snes, der sich in seiner künstlerischen Arbeit mit KI beschäftigt, erzählt Aaron sein Manifest selbst: Mit Hilfe von KI wird Aarons Stimme und Sprachmuster nachgebildet. Es ist seine eigene Stimme, aber es ist auch nicht seine eigene Stimme – denn sie wird zunächst in ihre Einzelteile zerlegt und dann wieder zusammengesetzt. So entsteht ein anderer Abdruck, ein anderes Artefakt von ihm, das uns dennoch persönlicher in seine Welt eintauchen lässt als eine bisher übliche TTS-Stimme, die ganz auf Sprachmelodie oder gar Sprachmuster verzichtet. Der Text wird nicht nur gehört, sondern von Litto mittels zweier KIs, Face Capture und Tiefendaten, auf Aarons Gesicht animiert, so dass er sein Manifest lebendig vortragen kann. Jascha Ehrenreich stellt als Poet of Code alles auf die Plattform. Zum ersten Mal präsentiert wurde die Arbeit auf der Ars Electronica 2023.
Am 8. November 2023 feierten wir den Geburtstag von Aaron sowie die Projektreihe „aaron’s law“ im Schubert Theater mit Künstler*innengesprächen und Präsentationen.
Einführung: Renate Kreil über Aaron Swartz und die Projektreihe „aaron’s law“
1. Panel: Litto und Jascha Ehrenreich (ARTIFICIAL MUSEUM); Ilkhan Selçuk (10lcr.com); Lisa Zingerle und Simon Meusberger (Schubert Theater)
2. Panel: Elisabeth Schimana (IMA Institut für Medienarchäologie); Norbert Unfug (Echtzeitkunstwelt); Andreas Zingerle (mur.at)
3. Panel: Andrea Sodomka (FLUSS – NÖ Initiative für Foto- & Medienkunst; alien productions), Günter Friesinger (monochrom)
danach AR- und VR-Angebote, kleines Essens- und Getränke-Buffet, persönlicher Austausch mit den Künstler*innen
Hier gibt es das Video zum Nachschauen:
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