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Krümel für alle, sonst gibt’s Krawalle

Voluminöse Schwänze und lila Verpackungsmüll sind ihre Statussymbole, Süßigkeiten von Menschen ihre Rauschmittel: Die Eichhörnchen sind die privilegierten Nager im Park. Da kommen Ratten aus der Kanalisation an die Oberfläche und fordern bessere Lebensbedingungen. „Oachkatzlschwoaf. Die Rebellion der Ratten“ feiert am 11.11.21 seine Uraufführung am Schubert Theater.

Regisseur Rodrigo Martinez stellt im Gespräch mit Dramaturgin Jana Schulz die Produktion und ihre spannenden Hintergründe vor.

 

„Oachkatzlschwoaf“ ist ein Stück von deinem Freund Daniel Ferreira Aparicio, das ihr ursprünglich in Mexiko uraufführen wolltet. Wovon handelt der Text? 

Von einer Revolution, nach der alles noch schlimmer wird. Die Hauptprotagonisten sind zwei Ratten und ein Oachkatzl. Das Oachkatzl ist die Königin vom Park, und die Ratten planen in der Kanalisation darunter einen Aufstand.

Doch das ist keine blutige Rebellion von Anfang an. Man würde ja vielleicht vermuten: Die Oachkatzln sind privilegiert, nun kommen die Ratten, bringen sie um und nehmen ihren Platz ein.  Aber das passiert nicht. Die Ratten marschieren ein in den Park, die Menschen verursachen ein Chaos, indem sie Hunde freilassen, und es kommt schließlich zu einer gemeinsamen Regierung der Ratten und Eichhörnchen, dem Kongress der Nager. Das ist sehr interessant, denn das ist auch ein wenig die Geschichte Mexikos.

 

Was ist da der historische Hintergrund?

Es ist schwierig, deutschsprachige Quellen dazu zu finden, da die Geschichte nach der Eroberung durch Hernán Cortés* stets aus der spanischen Perspektive** wiedergegeben wurde. Doch 800 Spanier gegen 200 000 Azteken hätten damals nichts ausrichten können. Es war auch eine Rebellion der Indigenen, die von den Azteken unterdrückt waren. Dann ist Hernán Cortés mit Tausenden von Indigenen einmarschiert, die Indigenen haben die Azteken komplett vernichtet, und schließlich haben die Spanier gemeinsam mit den Indigenen, vor allem den Tlaxcalern, eine gemeinsame Regierung gebildet.

Es war also nicht so, wie man oft denkt – die Spanier haben alle vernichtet – sondern es gab diese Zusammenarbeit. 90% der Indigenen sind dann wegen eingeschleppter Krankheiten gestorben. Im Nachhinein war es schlimm, nach hundert Jahren war es schlimm, aber am Anfang gab es eine gemeinsame Regierung, weil die Indigenen den Krieg gewonnen haben gegen die Azteken, nicht die Spanier.

Mexiko hat sich noch immer nicht von diesen kolonialistischen Zeiten erholt. Es ist immer noch so chaotisch. Die Unabhängigkeit liegt noch nicht so lange zurück, es gab viele Kriege*** in Mexiko, viel Instabilität – Mexiko geht‘s noch nicht gut.

Gibt es politische Gemeinsamkeiten zwischen Mexiko und Österreich?

Die politischen Realitäten in Mexiko und Österreich sind extrem unterschiedlich, aber es gibt ja immer universelle Gemeinsamkeiten: Schichten und Klassen, die die ganze Zeit streiten. Davon handelt auch das Stück.

Die einen wollen mehr Platz, mehr Privilegien. Und die, die die Privilegien haben, wollen sie weiter behalten. Das ist dieser Streit, den es überall gibt.

Die, die unten sind, nehmen sich, wie sie können. Wie Marx gesagt hat – ohne Blut und Gewalt gibt es keine Revolution. Jedenfalls meistens, mit wenigen Ausnahmen.

 

Warum ist „Oachkatzlschwoaf“ gerade für Österreich so interessant?

Ich glaube, das Stück ist sehr aktuell, insbesondere gerade hier und jetzt in Österreich. Weil es viele Streitereien gibt: Wer bleibt in der Regierung, wer darf was haben, wer nicht, warum sollen die „Ausländer“ einen Platz haben oder nicht – ich selber als „Ausländer“ finde das sehr zutreffend.

Natürlich identifiziere ich mich mit den Ratten im Stück, weil ich fühle, dass ich hier eine „Ratte“ bin – seit Langem. Und ich streite darum, einen Platz zu bekommen, in der Gesellschaft, im kulturellen Bereich. Es ist immer ein Streit für mich. Deswegen habe ich eine andere Sicht auf das Stück. Das Puppenspielteam sind eine Österreicherin, ein Österreicher und eine Deutsche. Wir diskutieren viel in den Proben, denn manchmal verstehen die Schauspieler diese „Streit“-Ansicht nicht. Ich verstehe, warum – weil sie an Privilegien gewohnt sind. Und dann erkläre ich , warum das wichtig ist. Und wie dieser Streit insgesamt funktioniert.

Ich habe oft das Problem, zum Beispiel auch mit meinen Wiener Mitbewohnern, dass sie das nicht nachvollziehen können. Warum ich beleidigt bin, zum Beispiel, wenn Leute mich auf der Straße auf Englisch anreden. Das ist eine Kleinigkeit, aber es zeigt, wie du wahrgenommen wirst. In der Stadt, in deinem täglichen Leben.

Sie verstehen nicht, warum ich mich ärgere, aber es gibt immer einen leichten Rassismus hier, den wir, die „Ausländer“, merken, und vor allem, wenn du „dunkel“ bist, hier in der Stadt. Am Schluss verstehen sie mich aber doch. Und sagen, wenn so was passiert, musst du ganz Wienerisch antworten (in perfektem Wienerisch): „Ey was schaust du mich so an du Wappler“.

Die Stücke, die wir in Wien sehen, sind auch meist aus so einer priviligierten Position heraus verfasst und inszeniert. Diesen Perspektivwechsel brauchen wir also ganz dringend. Hast du ein Beispiel aus dem Stück, wo du merkst, dass deine Perspektive eine andere ist?

Es gibt eine Szene, in der die Königin Adivina mit dem Thronfolger Yoyo  alleine redet und ihn einschult. „Hier gibts‘s Regeln, pass auf, im Park gibt es uns, und es gibt diese anderen Oachkatzln mit grauem Fell. Du darfst ihnen nie Platz geben, sonst nehmen sie sich alles“.

Und dann hatte ich eine Diskussion mit der Darstellerin von Adivina, die meinte, Adivina müsste doch sagen, „du darfst den Ratten keinen Platz geben, sonst nehmen sie sich alles“. Aber nein! Es ist noch schlimmer, dass es Adivina nicht mal in den Sinn kommt, dass die Ratten irgendwann mal raufkommen werden. Die größte Angst hat sie vor den grauen Eichhörnchen.

Adivina ist ein tragischer Charakter, sie kann nicht über ihren Tellerrand sehen. Und dann ist die Szene mit dem Einmarsch der Ratten für sie urschlimm, weil sie nur an ihre kleine Welt denkt. Das ist sehr bezeichnend. Hier in Österreich wundere ich mich manchmal über die Probleme der Leute . In Mexiko, unter Coronabedingungen, könnten sie so nie überleben. Du sitzt da seit eineinhalb Jahren mit sozialer Absicherung und so weiter, und beschwerst dich?  Weißt du, wie es meiner Familie in Mexiko geht, mit Corona?

 

Du siehst die Schichtzusammensetzungen hier sehr viel klarer.

Ja, sie leben in einem Traum, in einer Bubble! Sie wissen nicht, wie die Welt wirklich ist. Sie haben immer Essen auf dem Tisch gehabt. Ich hab schon ein paar mal kein Essen gehabt, und das ändert etwas an deiner Weltsicht.

 

Auch die Theaterwelt in Mexiko ist ungleich härter, oder?

Ja, in Mexiko muss man schauen,  wie man überlebt. Die Förderungen sind gering, die Theaterhäuser gehören der Stadt. Die Häuser produzieren nichts Eigenes, es gibt nur freie Gruppen, die bekommen zwar einen Platz, um was zu zeigen, aber davon kannst du nie überleben, nie. Du musst immer nebenbei was machen. Deswegen sind Österreich und Wien eine Oase für Künstler. Denn wenn du Künstler bist und vielleicht keine Förderungen bekommst, sind die sozialen Bedingungen dennoch gut. Hier in Wien sind wir doch noch immer rotes Wien, und dann kriegst du zumindest Mindestsicherung, auch wenn du keine Förderung hast. Ich glaube, die MA40 ist wichtig für die Kunstgesellschaft hier. Und ich finde es nicht schlecht, solange es keine andere Lösung gibt. Es gibt ja kein Magistrat für Künstler. Dann eben MA40, für die Künstler und das restliche Prekariat.

 

Wie bist du zum Figurentheater gekommen?

Ich habe in Mexiko Regie studiert und hier in Wien Bühnenbild. Und in Amerika eine Lehre bei Bread and Puppet gemacht. Hier kennt man sie kaum, sie sind aber für die Puppenszene in der Welt sehr wichtig.

Bread and Puppet ist ein Puppenparadies. Im Norden von Amerika in Vermont, in einem sehr linken Ort, mitten im Wald, leben die Menschen von Bread and Puppet als Kommune. Sie bauen selber ihr Essen an und entwickeln eigene Spektakel. Das Motto ist „Cheap Arts“: Puppen aus Müll. Du stehst um 7 Uhr auf, arbeitest für die Kommune, am Land, putzen, kochen und sowas, und ab 12 beginnen die Proben. Bis zum Abend, jeden Tag. Diese Art von Leben war sehr interessant für mich, ich bin eigentlich null Hippie. Es war eine sehr gute Erfahrung. Dieser Zugang zu Kunst, dass es auch so geht. Okay, ich kriege ein bisschen Gemüse, einfach irgendwas zum Essen, und darüber hinaus gibt es überhaupt kein Konsumdenken. Du darfst kein Handy haben, kein Internet, nix. Du bist dort allein, mit den Puppen und den anderen Hippies. Was macht man, wenn man kein Internet hat? Puppen bauen!

 

Bread and Puppet waren also ein wichtiger Einfluss für dich?

Ja, das hat mich geprägt, diese Ansicht von Kunst. Dass Kunst nicht so teuer sein muss und kompliziert. Simon Meusburger hat mich gefragt, wie haben sie dort beleuchtet? Naja, sie haben irgendeine Lampe mit Gaffa gebastelt und fertig. Irgendwie! Licht und fertig. Aber die Spektakel dort – wirklich gut! Riesenpuppen machen sie zum Beispiel, 5 Meter hoch. Aus Pappmaché. Drinnen im Theater. Nur Schichten aus Karton. Trotzdem waren das Puppen. Gespielt mit Schnüren. Und nur aus Müll gemacht.

 

Bei dieser Produktion hast du viel Veranwortung: Regie, Übersetzung, Bühne und Puppenbau.

Ja, ich muss sehr organisiert sein. Ich setze mich seit vier Monaten täglich mit dem Stück auseinander, und ich will, dass es gut wird, deswegen ist es sehr befriedigend. Vor allem jetzt, in dieser Phase, in der ich die Ergebnisse von vielen Monaten sehe. Jetzt steht der Baum auf der Bühne! Die Puppen auch. Alles hat jetzt einen Sinn.

Ursprünglich war das Stück nicht für Puppen geschrieben, aber ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie das mit Menschen gehen sollte. Für mich ist es perfekt mit Puppen. Der Puppenbau war eine Riesenherausforderung, weil Pelz schwer zu nähen ist. Lisa Zingerle hat mir zum Glück sehr geholfen. Die Strukturen habe ich selber gebaut, Lisa hat die Überzüge gemacht.

Übersetzt habe ich gemeinsam mit Irene Palmetshofer, das war auch eine Herausforderung, weil das Stück in verschiedenen Dialekten geschrieben ist, von mexikanischem Hochspanisch bis „Prolo-Spanisch“. Wir haben uns dann gegen die Übertragung im Dialekt entschieden, weil da die Frage aufkommt: Wer spricht welche Art von österreichischen Deutsch? Welchen Dialekt sprechen die Ratten, welchen die Oachkatzl? Dann reden am Ende die „Ausländer“ das „Proletendeutsch“ und das ist politisch eine schlechte Aussage. Denn was benutzt man für die Rattensprache? „Türkisch-deutsch“, „jugo-deutsch“, „latino-deutsch“, „afrikanisch-deutsch“? Dann würde  man das polemisch in eine Richtung lenken, um die es gar nicht geht. Die einzige „Ausländerin“ in unserer Inszenierung ist die Fliege, die Erzählerin.

 

„Oachkatzlschwoaf“ wirft einen ziemlich frischen, klaren Blick auf unseren Kulturkreis.

Ich bin gespannt, wie das Publikum reagiert. Denn die Dramaturgie und manche Sachen sind doch sehr speziell. Manches ist sehr schräg für die Leute hier. Wie kann jemand auf der Bühne sowas sagen, das mit der dunklen Haut und so? „Das sagt man ned“. Es ist aber eine Realität. Ich glaube schon, dass in intimer Atmosphäre sowas gesagt wird.

 

Danke für das Interview.

Danke auch – ich muss weiter, die Bühne bauen!

 

*Hernán Cortés, spanischer Konquistador, besiegte 1521 mit Hilfe einheimischer Völker die Azteken und war bis 1530 Generalgouverneur von Neuspanien.

**Rodrigo zur anderen Perspektive: „Vieles wurde von den Mönchen in Neuspanien, wie Fray Bartolome de las Casas („Historia de las Indias“ von 1552 / „Brevisima relacion de la destruccion de las Indias“ von 1559), von Historikern wie Miguel Leon Portilla oder auch in literarischen Werken wie „Cuahutemoc y Eulalia“ von Salvador Novo, „Cortes y la Malinche“ und „Los Argonautas“ von Sergio Magaña oder der Erzählung „La culpa es de los tlaxcaltecas“ von Elena Garro dokumentiert. Es gibt auch ein koloniales Gemälde mit dem Titel „Lienzo de Tlaxcala“, auf dem Zusammenarbeit der Tlaxcaltecas (die sich auch als Eroberer von Mexiko Tenochtitlan betrachteten) und der spanischen Krone zu sehen ist.“

***Mexikanischer Unabhängigkeitskrieg von 1810 bis 1821; 1824 wurde Mexiko eine Republik und erhielt eine bundesstaatliche Verfassung; Mexikanisch-Amerikanischer Krieg von 1846 bis 1848, Zweites Kaiserreich unter Kaiser Maximilian I., Bruder des österreichischen Kaisers Franz Joseph I., von 1864 bis 1867; 1867 wurde die Regierung offiziell wiederhergestellt unter Benito Juárez, einem gebürtigen Zapoteken.

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